Die Tracht im Musikverein Betzingen

Bauernkapelle 1911

Bauernkapelle “Weißkittel” um 1911

Schon früh hat sich der Musikverein Betzingen um die Betzinger Tracht bemüht. So spielten die Musiker bereits im Jahre 1911 als “Bauernkapelle” in Tracht.

Endgültig Einzug in den Verein fand die Tracht zwischen 1946 und 1948 durch die Initiative des damaligen Vorstandes Ernst Geiger, der beschlossen hatte neben der Einheitskleidung die Betzinger Tracht anzuschaffen, um sie an besonderen Anlässen tragen zu können. Ein solcher Anlass war zum Beispiel das Canstatter Volksfest im Jahre 1950. Die Betzinger Musiker spielten damas zehn Tage lang auf dem Wasen in ihrer Tracht.
Einige Musiker erinnern sich noch gut an damals: “Spät abends als wir heimkamen, musste noch die Tracht gewaschen werden. Damit sie schnell trocknete wurde sie in der Backstube vom ‘Braun-Beck’ aufgehängt und am frühen Morgen noch schnell für den Auftritt gebügelt.”
Da 1950 nur Männer in der Kapelle spielten, stellte sich die Frage nach der aufwendigen Frauentracht noch nicht.

Als dann immer mehr Mädchen in die Kapelle kamen, wurden diese in Männertracht gesteckt. Eine Zeit lang sogar – welch ein Stilbruch – mit einem weißen Rock anstatt der Hose.
Erst 1986 wurde es nach verschiedenen Anläufen war: Musikerinnen und vor allem ihre Mütter schufen in mühevoller Arbeit unter Anleitung von Frau Irma Henne die Festagstracht für die Frauen. Die Vereinsstube Mühlstraße wurde zur Nähstube umfunktioniert und fleißige Hände arbeiteten jeden Donnerstag bis in die Nacht hinein.

Heute treten wir als Trachtenkapelle bei historischen und Trachten-Umzügen auf und präsentieren die Betzinger Tracht so im In- und Ausland.

Beschreibung der Tracht

Die Betzinger Tracht gehört zu den bekanntesten und schönsten der schwäbischen Volkstrachten, was ihre Erwähnung in zahlreichen Büchern erklärt. Man glaubt zu wissen, dass die Tracht bis in die 1870er Jahre im Dorf als Alltagskleidung getragen wurde. Mit der dann zunehmend einsetzenden Industrialisierung des Dorfes, gingen die Dorfbewohner dann aber zur städtischen Kleidung über.

Betzinger Trachten

Einen Überblick über die Vielfalt und Schönheit dieser Tracht gibt das obige Bild, das zugleich auch Beweis ist, dass die Tracht im Musikverein schon seit jeher gepflegt wurde. Denn es enstand 1928 anläßlich des 25-jährigen Bestehens des Musikvereins vor der Betzinger Mühle und zeigt Mitglieder der Kapelle des Musikvereins Betzingen e.V. und ihre Frauen in der original Betzinger Tracht dreier Generationen.
Die Trachtenträger von links nach rechts sind: Hedwig Maier, Karl Fuchs, Elfriede Koch, Richard Wittel, Emma Fuchs, Julius Braun, Julie Rinker, Emil Kirschbaum, Else Braun, Erwin Kehrer, Elma Kirschbaum und Julius Rinker.

Die Frauentracht

Die Tracht besteht aus zahlreichen Teilstücken, die wichtigsten davon sind:
Der Rock aus dunkelblauem oder schwarzem Tuch gefertigt. Knapp über dem Rockende läuft ein fünf Zentimeter breites Band, das je nach Anlass wechselt. Dieses Band gibt dem jeweiligen Rock den Namen, so gibt es u. a. den Schnurrock, der eine Goldborte besitzt und den Sametsperrlesrock mit dem schwarzen Samtband.
Das Mieder besteht meist aus weinrotem Tuch und ist am Rock festgenäht. Die Ausschnitte für die Arme sind je nach Farbe des Gollers mit grünem oder schwarzem florettseidenem Band verstärkt. Über der Brust hat das Mieder einen trapezförmigen Ausschnitt, an dessen Rändern sich sechs Messinghaken befinden, durch die der Breisnestel gezogen wird, um das Mieder zuzuschnüren. Dieser ist in der Regel ein ein bis zwei Zentimeter breites seidenes Band, dessen Farbe sich nach der Tracht richtet.
Das Goller bedeckt die Teile von Rücken und Brust, die das Mieder frei lässt. An den Rändern des Bruststücks befinden sich auch beim Goller Bänder, wobei die an den seitlichen Rändern wesentlich schmäler sind als die oben und unten. In der Mitte sind zwei Rosetten.
Was jetzt über der Brust noch unbedeckt ist wird vom Brustblätz bedeckt. Er ist aus Samt, und besitzt an den seitlichen Rändern und oben ein sechs Zentimeter breites Band. Der Brustplätz wird allein vom Mieder, Rock und Breisnestel gehalten und nicht extra befestigt. Das Mittelstück besitzt Ornamente aus Wolle oder Seide die Blumen oder geometrische Muster darstellen.
Die Schürze ist sonntags und für die Arbeit bunt und wird auf dem Rücken gebunden. Die besseren weißen und schwarzen Schürzen haben besonders lange Schurzbändel, die einmal umgeschlungen, vorne gebunden werden, so dass die 30-40 cm langen Enden herunterhängen.
Das Hemd hat außer zur Arbeit im Sommer immer lange Ärmel und ist weiß. Die Ärmel sind im ganzen Verlauf gleich weit, aber an der Schulter und am Handgelenk gefältelt, so dass sie insgesamt bauschig wirken.
Das Nuster ist eine Kette mit Granatperlen. Es exisierte in verschiedenen Ausführungen zu den unterschiedlichen Anlässen. So wurde z.B. das mit braunen Perlen und Goldschloss Sonn- und Festtags getragen, das mit schwarzen Perlen und dem Silberschloss zur Trauer. Als weiterer Halsschmuck war das Geldle üblich. Das ist ein vergoldetes Geldstück mit Ösen an den Seiten und unten, in die kleine Klunker, sogenannte Birle einghängt wurden. Es wurde an einem 1,5 cm breiten Band um den Hals getragen.
Zur Kopfbedeckung trug man die Haube Sie ist kreisrund mit einem Durchmesser von ca 14 cm und einer Höhe von etwa 3,5 cm. Außen ist sie blaßlila oder schwarz. Befestigt wird sie indem man, die an ihr angebrachten “Ohren” mit Nadeln ans Haar heftet. Über diesen beginnt ein 5-6 cm breites und über ein Meter langes Band aus schwarzer Seide, das auf den Rücken hinabhängt.

Erwähnt werden muss auf jeden Fall, das es nicht etwa “die Tracht” gab, sondern das sie vielmehr den Wochentagen und Anläßen enstprechend zusammengestellt wurde. Außerdem unterscheiden sich die Trachten der Frauen und Mädchen. Währen die Mädchentrachten noch sehr bunt sind, gehen sie mit zunehmendem Lebensalter in getragenere Töne über. Im folgenden sind die wichtigsten Formen der Mädchentracht dargestellt, dabei werden die Merkmale der Frauentracht, so sie sich unterscheiden, in Klammern ergänzt.

  • Kirchentracht
    Die Kirchentracht bestand aus einem Rock aus blauem Tuch, der unten durch ein schwarzes Seidenband begrenzt wurde und einem weinroten Mieder, das mit buntem Samtband (schwarzem Seidenband) besetzt war. Dieses wurde durch einen violetten (schwarzen) Breisnestel zusammengeschnürt. Das samtene Goller war bunt (weiß) geblümt und wurde durch ein blauseidenes (schwarzseidenes) Band begrenzt. Der Brustblätz war dem Mieder angepasst. Die Schürze war aus schwarzer Baumwolle mit schwarzseidenen Schurzbändeln (mit weißen Rändern). Auf dem Kopf wurde eine blaue (schwarze) Haube getragen, als Zopfband die seidene Haarschnur. Um den Hals trug man das braune Nuster mit Goldschloß und das Geldle. An den Füßen weiße Strümpfe.
  • Festtracht
    Die Festtracht bestand aus einem Rock aus blauem Tuch, der unten durch eine Goldborte (schwarzes Seidenband) begrenzt wurde und einem weinroten Mieder, das mit Silberschnur (schwarzem Samtband) besetzt war. Dieses wurde durch einen weißen (schwarzen) Breisnestel zusammengeschnürt. Das samtene Goller war bunt (weiß) geblümt und wurde durch ein grünseidenes (schwarzseidenes) Band begrenzt. Der Brustblätz war dem Mieder angepasst. Die Schürze war aus weißer (schwarzer) Baumwolle mit rotseidenen (schwarzeidenen) Schurzbändeln. Auf dem Kopf wurde eine blaue (schwarze) Haube getragen, als Zopfband die seidene Haarschnur. Um den Hals trug man das braune Nuster mit Goldschloß und das Geldle. An den Füßen weiße Strümpfe.
    Bei unseren Auftritten in Tracht tragen die Musikerinnen des Musikvereins Betzingen diese Festtracht in der Form der Mädchen.
  • Sonntagstracht
    Die Sonntagstracht bestand aus einem blauen Rock, der unten durch ein hellblaues Band aus Florettseide (schwarzes Samtband) begrenzt wurde und einem weinroten Mieder, das mit Silberschnur (schwarzem Samtband) besetzt war. Dieses wurde durch einen bunten (schwarzen) Breisnestel zusammengeschnürt. Das samtene Goller war bunt (weiß) geblümt und wurde durch ein grünseidenes (schwarzseidenes) Band begrenzt. Der Brustblätz war dem Mieder angepasst. Die Schürze war aus farbigem Barchent ohne Schurzbändel (schwarzer Baumwolle mit schwarzseidenen Schurzbändeln). Auf dem Kopf wurde eine blaue (schwarze) Haube getragen. Um den Hals trug man das braune Nuster mit Goldschloß und das Geldle. An den Füßen weiße oder im Winter blaue Strümpfe.
  • Werktagstracht
    Die Frauen trugen werktags die Kleider, die für den Sonntag nicht mehr schön genug waren. Bei der Arbeit trug man außerdem kein Geldle und keine Haube. Das gute sonntägliche Nuster wurde durch das billigste ersetzt. Die Schürze war farbig, die Strümpfe dunkel. Die Bändel des Gollers wurden in den Rocksaum gesteckt, damit sie beim Arbeiten nicht hinderlich waren. Galt es Dinge auszubessern, so wurde dies mit robusterem Material ergänzt.

Die Tracht der kleinen Mädchen war dieselbe wie die der großen, nur einfacher. Neben den eben erwähnten Hauptformen gab es noch andere Formen der Tracht für für besondere Anläße (Abendmahlstracht, Trauertracht, Hochzeitstracht, Konfirmandentracht).

Die Männertracht

Hier sollen zuerst einmal ein paar Charakteristika der Betzinger Männertracht dargestellt werden, bevor im folgenden exemplarische Zusammenstellungen der Tracht gegeben werden.
Der Weißkittel, ist ein langer Kittel aus weißer selbstgesponnener Leinwand, der durch zwölf konkave Messingknöpfe geschlossen werden kann. Ein Kragen fehlt. Auch die Ärmel lassen sich durch je einen Messingknopf schließen. Die Flügel lassen sich durch zwei Schlitze auf der Rückseite des Kittels schieben, falls sie beim Arbeiten hinderlich sind. Im Winter kam statt des normal Weißkittels der Dicke Kittel zum Einsatz, der seinen Namen durch ein eingenähtes Wollfutter bekam, das ihn dick und schwer machte. Im Gegensatz zum Weißkittel wird er durch 16 Knöpfe geschlossen, aber auch der dicke Kittel ist kragenlos.
Die Lederhose wird aus Hirschleder hergestellt und reicht nur bis übers Knie, wo sie mit einem schwarzen Bändel aus Baumwolle so geschlossen wird, das seitlich eine doppelte Schleife ensteht. Ihr Latz wird mit vier Knöpfen aus Horn verschlossen. Die rechte Tasche öffnet sich nach oben, die rechte seitlich. Beide lassen sich mit einem Knopf verschließen.
Die Weiße Hose besteht aus starker vierschäftiger Leinwand, da sie ja auch den Anforderungen des Werktags gewachsen sein musste. Die Falten sind an den Seiten; sie endet unten mit einem fünf Zentimeter langen Schlitz.
Das Hemd besteht je nach Anlass aus Flachs oder Hanf (s.u.). Sein Kragen steht aufrecht und hat oben kleine Zacken zum Schmuck, unter dem Kragen ist das Hemd gefältelt, ebenso auf der Schulter. Auch das Ärmelende ist gefältelt. Der Brustschlitz wird mit einer Hemdschnalle aus Silber geschlossen. Sie ist oben von der Grundform her dreieckig, hat aber einen gewellten Rand. Unten schließt sich ein herzförmiger Teil, mit ebenfalls herzförmigem Ausschnitt an, hinter dem die Nadel sichtabr ist. Der Anhänger am oberen Teil der Schnalle kennzeichnete seinen Träger: so war zum Beispiel der Träger eines Pflugscharanhängers ein Ochsenbauer.
Die Schmerkappe ist aus Leder. Sie ist außen schwarz und innen braun. Ein Gummiband sorgt für den festen Sitz der kreisrunden Kappe mit ca. 17cm Durchmesser und 4cm Höhe.

Auch hier gilt wieder gleiches wie schon bei der Frauentracht erwähnt: “die Tracht” an sich gab es nicht, sie wurde vielmehr den Wochentagen und Anläßen enstprechend zusammengestellt. Als wichtigste seien hier erwähnt die

  • Kirchentracht
    Zur Kirchentracht gehörten ein Rock aus blauem Tuch, ein schwarzes (bzw. für die Burschen scharlachrotes) Brusttuch, die Lederhose und als Kopfbedeckung der Dreispitz. Das Hemd war aus Flachs und wurde durch eine silberne Hemdschnalle zusammengehalten. Durch ein schwarzseidenes Halstuch wird sie komplettiert.
  • Festtracht
    Sie gleicht bis auf den Rock, als welcher der Weißkittel getragen wurde, der Kirchentracht.
  • Sonntagstracht
    Sonntags trugen die Männer als Rock den Weißkittel, ein schwarzes Brusttuch (die Burschen ein scharlachrotes), eine lange weiße Hose und als Kopfbedeckung die Schmerkappe. Das Hemd war aus Flachs und wurde durch eine silberne Hemdschnalle zusammengehalten. Während die Männer ein Halstuch aus schwarzer Baumwolle trugen, fällt dieses bei den Burschen weg.
    Die Musiker des Musikvereins Betzingen tragen eben diese Sonntagstracht der Burschen, wenn sie als Trachtenkapelle auftreten.
  • Werktagstracht
    Auch zur Werktagstracht gehörte der Weißkittel, der über einem schwarzen ungeblümten Brusttuch getragen wurde. Das Hemd war aus Hanf und wurde von einer kleinen kranzförmigen Hemdschnalle zusammengehalten. Als Beinkleid war die lange weiße Hose gebräuchlich. Zur Kopfbedeckung wurde die Schmerkappe verwendet.

Daneben gab es noch zahlreiche Spezialformen für besondere Anläße (Abendmahlstracht, Trauertracht, Hochzeitstracht, Konfirmandentracht) und Differenzen bei Trachtenträgern unterschiedlichen Alters.